Unterschiedliche Lerntypen – ein Mythos?

Die Einen machen sich große, bunte Plakate mit mindmaps, die Anderen sprechen sich Lerninhalte selbst vor, hören sich Aufnahmen an oder sehen Videos und die Dritten schreiben sich Karteikarten und lesen alles in Büchern nach. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten sich mit Lerninhalten auseinander zu setzen und verschiedenste Wege sie kognitiv zu verarbeiten.

Bis heute bestehen mehrere Theorien zu dem Modell der Lerntypen. Man kann sich Bücher dazu kaufen, Tests machen und schon in der Schule versuchen Lehrer und Eltern herauszufinden welcher Lerntyp das Kind ist und wie es wohl am besten versteht.

Grundsätzlich muss man zwischen zwei Dimensionen unterscheiden: der ersten, die abbildet, wie eine Person Informationen wahrnimmt und sammelt. Das kann über die verschiedenen Sinne geschehen, durch praktisches Erfahren oder auch abstraktes Begreifen, in dem man beispielsweise einen Sachverhalt, der nicht greifbar ist, gedanklich durchgeht. Die zweite Dimension reicht vom aktiven Probieren bis hin zur gedanklichen Beobachtung. Der Prozess des Lernens ist, begonnen bei der Informationsaufnahme, also nicht immer sichtbar, was eine Einteilung in Lerntypen natürlich nicht vereinfacht.

Da die Nutzung des Begriffs “Lerntyp” in der Literatur nicht einheitlich ist, wird in vielen Fällen eher von einer “Lernpräferenz” gesprochen. Hier wird nach unterschiedlichen Kriterien der bevorzugten Informationsaufnahme eingeteilt. Beispielsweise nach Sinnesorganen, die bevorzugt genutzt werden, sprich einem auditiven, einem optischen, einem haptischen und einem intellektuellen Typen. Dabei ist aber unbedingt zu beachten, dass festgestellt wurde, dass nicht die Informationsaufnahme, sondern vielmehr die Informationsverarbeitung ausschlaggebend für den Lernprozess sind. Gesprochene Sprache wird beispielsweise ähnlich verarbeitet, die geschriebene Sprache, obwohl sie über zwei unterschiedliche Systeme aufgenommen werden. Wohingegen sich die Verarbeitung von Text und Bild komplett unterschiedlich gestaltet, obwohl beides über das visuelle System aufgenommen wird. Auch die Art und Weise der Sozialform des Lernendens ist eine Lernpräferenz, die betrachtet werden kann: Lernt man lieber in der Gruppe, im Wettbewerb oder alleine?

Es gibt also zahlreiche Modelle und Ansätze Lernpräferenzen zu unterscheiden. Doch ist das überhaupt sinnvoll? Können Lernprozesse nach Kategorien sortiert werden, um dann entsprechend Inhalte zu präsentieren? Bieten die angebotenen Materialien, Tests und Literaturen eine verlässliche Orientierung?

Harold Pashler, Mark McDaniel, Doug Rohrer und Robert Bjork haben 2008 eine Literaturrecherche zu diesem Thema durchgeführt. 71 unterschiedliche Modelle von Lernstilen haben sie sich dabei angesehen und verglichen.

Sie gehen davon aus, dass sich “Lernstil” individuell auf die Art und Weise des effektivsten Lernens für den Einzelnen bezieht. Demnach ist ein Lerntyp etwas sehr subjektives, denn nur der Lernende selbst kann in erster Linie entscheiden, wie er effektiv lernen möchte. Die bestehenden Assessments, die behaupten, sie können den Lerntyp einer Person feststellen, versuchen also eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Art der Informationsvermittlung die Lernenden bevorzugen und welche mentale und kognitive Aktivität sie am ansprechendsten finden. Beispielsweise könnte ein Schüler angeben, er findet Videos ansprechender als Texte und er erarbeitet sich Inhalte lieber selbst, als dass er sie präsentiert bekommt. Im Bildungsbereich haben diese Tests großen Einfluss gewonnen und es werden immer wieder neue Test entwickelt und publiziert.

Doch sind diese Tests überhaupt aussagekräftig? Liegt Ihnen eine wissenschaftliche Evidenz zugrunde? Und sind sie so für den qualitativen Einsatz im Bildungsbereich zu gebrauchen?

Machen wir einen kurzen Abstecher in einen Tagtraum: Idealerweise gäbe es verlässliche, valide Tests, mit denen in kurzer Zeit und auf sehr simplem Niveau, sodass ihn beispielsweise auch Kinder mit wenig Lesekompetenz, Flüchtlinge mit Basis-Sprachkenntnissen oder ältere Menschen mit kognitiven Einschränkungen bewältigen können, Ergebnisse zu erhalten sind, die eine Aussage darüber treffen, wie sich die optimale Informationsaufnahme und -verarbeitung für den Lernenden gestalten lässt, dass er möglichst effektiv lernt.

Nun bestehen eine Vielzahl von Tests, doch zum einen ist der Lernstil, wie oben beschrieben, eine sehr individuelle und subjektive Sache und zum anderen sind Pashler et al. in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen, dass es leider nur wenige, nicht den wissenschaftlichen Standards entsprechende Untersuchungen von Tests über Lernstile gibt. Es gibt viel Literatur zu diesem Themengebiet, doch nur die wenigste ist auch aussagekräftig. Sie sprechen also den klaren Appell aus, dass es wissenschaftlich fundierte Untersuchungen geben muss, um eine Aussage über die Klassifizierung in Lerntypen und damit die Effektivität des Lernens treffen zu können. Außerdem weisen sie darauf hin, dass es hier Unterschiede zwischen den verschiedenen Disziplinen gibt, es also schwer zu verallgemeinern ist und differenzierte Lösungen geschaffen werden müssen.

Given the capacity of humans to learn, it seems especially important to keep all avenues, options, and aspirations open for our students, our children, and ourselves.“ – Pashler et al.

 

 

Die Idee der Lerntypen und damit der zielorientierten, optimierten Informationsaufnahme und -verarbeitung ist sicherlich mit guten Absichten, besonders in einer Leistungsgesellschaft, wie wir es sind. Leider fehlt es noch an evidenzbasierten Aussagen über die richtige Anwendung von Tests und deren Aussagekraft. Um eine bestmögliche Bildung anbieten zu können, sollte die Bildungswissenschaft diese Lücke schnell schließen. Doch bis dahin sollten wir als Bildungsanbieter versuchen eine Vielzahl von Lernstilen anzubieten, um jeden Lernenden individuell bedienen zu können und so seinen subjektiven Lernpräferenzen zu entsprechen. Wenn man dann den Lernerfolg anhand von Assessments messbar und damit für den Lernenden greifbar machen kann, fällt es vielleicht auch dem Einzelnen leichter herauszufinden, wo seine Präferenzen liegen und wie ihm Lernen am meisten Erfolg bringt.

Ihr arCanum Team

 

Quelle: Pashler, H.; McDaniel, M.; Rohrer, D.; Bjork, R. (2008): Learning Styles – Concepts and Evidence. Psycological Science in the public interest, 9:3.

 

weiterführende Links:

Psychologie heute – Mythos typgerechtes Lernen

Handbuch Lernstrategien, Mandl und Friedrich, via Google Books

 

Bilder: Priscilla Du Preez, Wes Hicks and JESHOOTS.com via Unsplash

 

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